Studie

Familienbilder im Fernsehen

Familienbilder und Familienthemen in fiktionalen und nicht-fiktionalen Fernsehsendungen - Eine Studie des Adolf-Grimme-Instituts im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von Irmela Hannover und Arne Birkenstock.

Familie in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen ist auch im deutschen Fernsehen überall präsent. Doch die familienpolitische Debatte, die in Deutschland inzwischen alle gesellschaftlichen Gruppen erfasst hat, findet sich in den elektronischen Medien kaum wieder. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Grimme-Instituts im Auftrag des BMFSFJ, die das Bild der Familie in fiktionalen und non-fiktionalen Formaten im deutschen Fernsehen untersucht und dafür rund 500 Programmstunden deutscher Fernsehsender analysiert hat.

In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft herrscht weitestgehend Konsens über die Herausforderungen der demographischen Entwicklung: Deutschland braucht mehr Kinder, dafür müssen vordringlich die Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geklärt, das Bildungsniveau der Kinder gehoben, die Erziehungskompetenz der Eltern gestärkt und das Armutsrisiko der Familien reduziert werden. Das sind Fragen, die nicht nur die betroffenen Familien und familienpolitische Akteure umtreiben, sondern für die Zukunft der gesamten Gesellschaft von großer Bedeutung sind. Sowohl in den fiktionalen wie in den informationsbezogenen Formaten des deutschen Fernsehprogramms werden diese Themen aber kaum aufgegriffen.

So ist das vorherrschende Lebensmodell der Serien, Krimis und Fernsehfilme das großstädtische Singledasein; Familien mit Kindern, insbesondere mit kleinen Kindern, kommen kaum vor. Die klassische Kleinfamilie mit zwei leiblichen Kindern, wie sie in der bundesdeutschen Realität vorherrschend ist, erscheint in der TV-Fiktion praktisch gar nicht. Das Familienbild im Fernsehen wird stattdessen geprägt von weitverzweigten Großfamilien in den Serien, von alleinerziehenden und multi-tasking-begabten Power-Frauen im Fernsehfilm und von melancholischen einsamen Wölfen und Wölfinnen im Krimi. Die Geburtenrate der weiblichen und männlichen Kriminal-Ermittler und Filmprotagonisten liegt noch weit unter der bereits sehr niedrigen deutschen Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau. Sie erreicht im Krimi knapp ein Viertel (0,29), im Fernsehfilm gerade knapp die Hälfte (0,48) dieser Fortpflanzungsrate. Bis zu Dreiviertel aller Protagonisten in den fiktionalen Formaten sind kinderlos!

Kein Wunder, dass die zentralen Themen der familienpolitischen Debatte sich hier nicht wiederfinden. Selbst wenn Kinder da sind, bleiben die Fragen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Bildung und Erziehung, von Kinderbetreuung und innerfamilialer Arbeitsteilung außen vor. Obwohl inzwischen fast alle Frauen und auch so gut wie alle Mütter in Serien und Filmen berufstätig sind, spielt die Frage, wie die Berufstätigkeit und die Betreuung der Kinder unter einen Hut gebracht werden kann, selten eine Rolle. Und auch wenn der Bildschirm bevölkert wird von beruflich erfolgreichen Powerfrauen - Erziehung und Haushalt bleiben nach wie vor weibliches Ressort. Dem modernen Frauenbild auf dem Schirm entspricht das Männerbild noch lange nicht. Hier tummelt sich immer noch der eher traditionell geprägte Mann, der sich gern aus solch vermeintlich weiblichen Zuständigkeiten raushält. Besonders auffällig ist auch, dass die soziale Frage, die unser Land im Moment umtreibt, in der Fernsehfiktion keine Rolle spielt. Hier dominiert die wohlsituierte Mittelschichtsfamilie, die keine existentiellen Sorgen kennt - auch und vor allem nicht die Alleinerziehenden-Familien. Und Erziehungsfragen, die in der Doku-Soap zurzeit Furore machen, quälen solche Mittelschichtsfamilien schon gar nicht! In der Welt der Fernsehfiktion finden die Themen des wirklichen Familien-Lebens kaum statt.

Das gilt auch für die informationsbezogenen Programme des deutschen Fernsehens. Familienpolitische Meldungen und Themen machen nicht einmal ein Prozent aller Beiträge in Nachrichten und Magazinen aus. Auffallend ist auch die entpolitisierte Behandlung des Familienthemas. Als Akteure in familienpolitischen Nachrichten und Beiträgen treten überwiegend Privatpersonen auf, selten Politiker. Hinzu kommt, dass die Themen der familienpolitischen Beiträge überwiegend aus dem familiären Nahraum stammen, also insbesondere familiäre Schicksale, Familie und Kriminalität oder Partnerschaft und Eltern-Kind-Beziehungen aufgreifen. Anlässe für familienpolitische Berichterstattung im engeren Sinne sind insbesondere Gerichtsurteile und Gesetze. Prozessorientierte Politik, wie sie eine nachhaltige Familienpolitik zur langfristigen Steigerung der Geburtenrate insbesondere auszeichnet, findet kaum die Aufmerksamkeit der elektronischen Medien. Die Themen der demographischen Entwicklung, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Kinderbetreuung oder Erziehung, die inzwischen in den Printmedien durchaus ihren regelmäßigen Niederschlag finden, führen im Fernsehen nach wie vor ein Nischendasein.

Auch die verstärkt in Shows und Doku-Soaps auftretenden Familien schaffen hier keine Abhilfe. Zum einen finden sich auch hier ausschließlich Themen aus dem familiären Nahbereich - gesellschaftlich bedingte Probleme von Familien werden nicht aufgegriffen. Zudem erzeugen die voyeuristische Herangehensweise und das Erteilen zweifelhafter Lebenshilfetipps in diesen Sendungen tendenziell ein eher negativ geprägtes Familienbild.

Ursachen für die relative Lebensferne der fiktionalen Formate und die familienpolitische Abstinenz der informationsbezogenen Formate vermutet die Studie zum einen in einem Mangel an Informationen über die tatsächliche demographische, soziale und sozio-psychologische Lage der Familien in Deutschland . Zum anderen verhindert ein insbesondere beim Fernsehen vorherrschender enger und event-orientierter Politikbegriff das Aufgreifen mittel- und langfristiger familienpolitischer Prozesse, die für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung Deutschlands von eminenter Wichtigkeit sind. Die Studie regt deswegen eine besser auf das Medium abgestimmte Informationsaufbereitung einschlägiger familienpolitischer Daten, familienwissenschaftlicher Forschungen und Aktivitäten, sowie einen intensivierten Austausch zwischen familienpolitischen Akteuren und Medienmachern an.

Impressum

Eine Studie des
Adolf-Grimme-Instituts
Eduard-Weitsch-Weg 25
45768 Marl

Im Auftrag des

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Alexanderplatz 6
10178 Berlin

Projektzeitraum

1.1.2004 bis 30.6.2005

Autoren und Projektleitung

Irmela Hannover
Arne Birkenstock

Wissenschaftliche Mitarbeit

Michael Voges

Projektassistenz

Sandra Mennig

Teilstudie "Programmanalyse" erstellt von

Prof. Dr. Helmut Scherer, Institut für Journalistik und Kommunikation
Prof. Dr. Beate Schneider, Hochschule für Musik und Theater Hannover
Nicole Gonser, Expo Plaza 12
Patricia Roßa, 30539 Hannover